Ich fühlte mich beschissen. Am zweiten Tag unserer Europareise. Irgendetwas musste passieren, ansonsten hatte ich einfach das Gefühl,
wie ein völlig normaler deutscher Bürger Urlaub zu machen. Durch Dörfer fahren, ein bisschen hier und da gucken und einen Übernachtungsplatz finden. Ohne wirklich die Sprache zu sprechen und in Kontakt mit den Menschen zu sein. Noe, nicht für uns. Ich weiß nicht, weshalb ich so ungeduldig gewesen bin, vielleicht weil es eine ganz andere, neue Erfahrung war. Da war plötzlich kein Zeitdruck mehr, dem man folgen musste. Den ich aber aus welchen Gründen auch immer noch in mir hatte. So sehr, dass ich mich nach wie vor gefragt hatte, weshalb ich das alles mache. Ja, ich weiß, nicht übertreiben, aber das ist nun mal mein Gefühl gewesen. Ich musste mich konfrontieren. Und das habe, im unabhängigen Bonneuil-en-Valois. Im Tal des Herbstes waren wir angekommen. Ja, wie passend zu dieser Jahreszeit. Ist aber keine. Das ist ein Fluss. ;)
Wir waren auf der Suche nach einer kleinen Organicfarm, die wir über´s Netz gefunden hatten.
Unsere Fahrt ging durch bewaldete Ortschaften, vorbei an einer alten Windmühle, etlichen kleinen Burgen und letztlich auch an der Farm.
Ich habe mit sehr vielem gerechnet, aber das. ...wow …!
Da steht ernsthaft eine alte Kirche?! Ja, aus dem 13. Jahrhundert. Wunderschön. Ich war überwältigt.
Bevor ich diesen Eindruck in Ruhe auf mich wirken lassen konnte, war ich innerlich doch irgendwie noch angespannt. Während mein Kürbis immer noch am Grübeln gewesen ist, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, ließen mich meine Beine schon über das Gelände gehen. Wenig später lernte ich François und Angelique kennen, denen die Farm gehört. Griet, von der ich am selben Abend noch lernen durfte, welche Bohnen (es waren viele und es sollten noch mehr werden) ich pflücken kann. Henri, dessen freundliches lächeln ich nie vergessen werde. Griet und Henri sind beides gute Freunde und dann war da noch Martial. Ein Volunteer, der seit einem Jahr durch Frankreich reist. Ich hatte einen kurzen Rundgang über das Gelände gemacht und es war einfach unbeschreiblich. Riesig, grün, tolle Bäume, ein wahnsinnig großer Gemüsegarten und natürlich...am westlichen Ende noch eine Koppel. Mit einem Pferd (welches aussieht wie das von Pippi Langstrumpf und den Namen West trägt) und 2 Schafen.
Ich hatte Pipacs angeguckt und gedacht, dass die Verbindung hier schon irgendwie sehr passend ist.
„Herr Anders“ fand seinen Platz zwischen den Beeten und der Kirche. Schöner hätte er es nicht haben können!
Es fiel mir nach wie vor schwer mich zu entspannen. Das ist so anstrengend, wenn man alles richtig machen möchte und dabei dann letztlich echt bescheuert da steht. Meine Französischkenntnisse existierten nicht und mein Englisch schien plötzlich auch dahin geflogen zu sein, das bemerkte ich ganz besonders, als François versuchte sich mit mir zu unterhalten. Kann schon unangenehm sein, wenn man reden möchte und man dann nur ein Lächeln rausgedrückt bekommt. Man was ist nur los mit mir?! Ich beschloss innerlich direkt meinem Englisch zu folgen, auch wenn ich nicht weiß, wohin es geflogen ist. Die Hauptsache war, nicht weiter diese unangenehmen Situationen zu haben. Am besten geht man diesen aus dem Weg, in dem man typisch Deutsch, Pläne schmiedet. Ich beschloss für mich nach 2- 3 Tagen wieder abzureisen. Festgefahren in Gedanken, typisch neumodern. Boa, wie ich das hasse. Die meisten Volunteer blieben laut Anzeige 12 Tage. Ich hatte mein Abendbrot im Auto verrichtet, Angelique eine Gute Nacht gewünscht und bin mit Pipacs in eine lausig kalte Nacht gegangen. Am nächsten Morgen verpasste ich das gemeinsame Frühstück, weil ich nicht wusste, ob ich einfach ins Haus gehen durfte und stattdessen mit Pipacs eine riesige Runde gedreht hatte. Unangenehme Situationen wollte ich ja vermeiden. Klappt also, nicht.
Ich sollte nun meine ersten Kenntnisse in Sachen Gardening lernen und erntete zum ersten Mal Mangold, den ich in kleinen Bündeln zusammenpacken und danach in Kisten legen sollte. Später hat sich herausgestellt, dass es zu wenig gewesen sind. Äußerst unangenehm. Und ich erntete weitere Bohnen.
Zum Mittagessen saßen wir draußen in der Sonne und wir kamen etwas mehr ins Gespräch. So zum Beispiel, dass wir uns über Essensgewohnheiten und Nahrungskombinationen unterhielten. Mein Einsatz war, dass ich Zartbitterschokolade ab und zu mit Whiskey kombiniere. Ich aber doch eher auf Chips stehe, als auf Süßes. Ah ja. Ich hab´s versucht. Nach einer großen Runde mit Pipacs durch den Wald erntete ich mit etwas mehr Geschick weitere Bohnen.
Es war einer, der besten Tage...es war unglaublich warm. Wir ernteten Porree, Kartoffeln, Kürbisse und weitere Bohnen …;) … und Pipacs erntete Mäuse.
Wir sortierten die Ausbeute in „gute" Ernte und „schlechte“. Haben Lieder gesungen, um uns zu verständigen. Da Martial kaum Englisch sprach und ich kein Französisch, halfen wir uns mit Songtexten weiter. Es war ein buntes Treiben. Griet und François sprachen mit mir in Englisch und mit Martial logischerweise Französisch. Am Ende des Tages wusste ich oft nicht mehr, was jetzt wie gesprochen wurde, wem ich jetzt wann zugehört hatte und ich abends einfach leer im Geist gewesen war, aber glücklich.
Das ist das Ergebnis, wenn man den ganzen Tag Französisch hört, in Englisch kommuniziert, aber in Deutsch denkt. Nach wie vor.
Griet hatte selbst gemachten Brombeermarmeladensirup mitgebracht. „Wow!“… der Sirup hatte es in sich. Boom! Augen auf und ich kann loslegen mit dem Ernten! Man war der lecker, der absolute Knaller!
Zum Mittag machte uns François vegetarische Burger mit frischem Salat, Tomaten, Gurken, Mayo, Ketchup, karamellisierten Zwiebeln und...jep... Chips. Ich war sprachlos und mit Abstand der glücklichste Mensch auf Erden. Ich hätte vor Freude weinen können. „ Wow, danke…“ mit vollem Mund und zufriedenem Lächeln sagte ich: „daff if der abfolute Knaller! Mähci“...;)
Am Abend durfte ich noch Martials Freundin Claire kennenlernen. Wir 5 waren ein so geniales Team, haben Tränen gelacht und tiefsinnige Gespräche geführt. Es war wirklich einer der besten Tage. Ich war angekommen und fühlte mich aufgehoben. Da war kein Misstrauen. Ich war überwältigt, dankbar und hatte nicht erwartet, dass ich hier ein Teil, einer so tollen Gesellschaft werden konnte. Ich war das einfach nicht gewohnt aus Deutschland und genoss jede Sekunde. Jeder hatte sein eigenes Haus, essen, Auto. Meins, deins Prinzip eben. Hier war das anders. Egal aus welcher Ecke man kam, hier waren alle offen und hatten eine komplett andere Sichtweise, die meiner sehr sympathisch ist. Das hat mir gut getan.
Verständnis ist eine schöne Erfahrung.
Jeden Tag hatte ich nun neue Erkenntnisse dazu gewonnen, wie man welches Gemüse erntet, beurteilt in gut oder nicht so gut. Die Beete vor Frost schützt und wie man die Gänge von Ratten beseitigt. Auf allen vieren und mit seinen eigenen Händen. Wir haben bei Wind und Wetter draußen gearbeitet, es regnete 4 Tage nach meiner Ankunft fast ununterbrochen durch. Ich wurde mit auf ein kleines Festival genommen, durfte François begleiten zu den Kunden, war auf einen kleinen Markt mit dabei und hatte Einblicke in eine selbsterschaffene Bäckerei von Stephan. Er zeigte mir ausführlich den eigenhändig gebauten Ofen und ich durfte sogar einmal unters Handtuch lucken. Unter dem, in einer großen Schüssel, der Teig vor sich hin schlummerte.
Es war herrlich den Menschen, zuzusehen, wie sie miteinander redeten, lachten und mir gefiel es diesem sing sang von Französisch zuzuhören. Die Sprache ist wie eine Melodie in meinen Ohren. Und wie schön die Franzosen doch sind. Diejenigen, denen ich begegnet bin, waren so warmherzig, freundlich, sie hatten ein echtes Lächeln im Gesicht und haben mich bedingungslos aufgenommen. Als ob ich schon immer da gewesen bin, an diesem Ort. Ich habe diese Momente einfach genossen und in mich aufgesaugt.
Womit ich allerdings erst ein bisschen warm werden musste, war das sich Begrüßen. Man gibt sich zum "Hallo" sagen, rechts und links einen angedeuteten Kuss auf die Wange. Nicht einen, den man flüchtig macht. Nein. Man tritt sich gegenüber, eine Hand hat zum anderen immer irgendeinen Kontakt. Entweder auf oder an der Schulter oder am Ellenbogen. Danach berührt man die Wange des anderen und wenn man es richtig ausüben möchte, dann gibt man beim Kussmund machen noch einen Ton mit. Das, dies ein Geschmatze werden kann, wenn sich 5- 8 Menschen begegnen, war schon ein Auftritt.
Diesen sollten Martial und Claire auch noch haben. Zum einen in der kleinen Küche bei François und Angelique und Tage später bei einem kleinen Festival auf dem eigenen Hof. Es wurde gebusselt, links und rechts, aufgebaut und organisiert. Junge Leute, alte Leute, Fahrradfahrer und Foodtrucks rollten an. Und ich stand mittendrin. Vor einem riesigen Topf voll mit Gemüse. Im Zentrum des kleinen Hauses, der Küche. Angeheizt wurde mit Gas und ich durfte eine Suppe für 1oo Leute kochen. Wie eine kleine Hexe habe ich über dem Topf gebeugt dagestanden und vor mich hin gebraut.
Nach 17 Tagensollte die Reise für uns nun weiter gehen. Ich habe unglaublich viel erlebt, dazu gelernt und bin nach wie vor unfassbar dankbar. Wer hätte gedacht, dass aus ursprünglich 2- 3 geplanten Tagen, eine so unvergessliche Zeit und eine wunderbare Freundschaft entstehen kann?!...
Es war uns ein inneres Blumen pflücken, hier gewesen sein zu dürfen.