Wir rollten bei klassischer Musik (sehr untypisch) durch die Dorfstraßen Südwest-Frankreichs. Was für eine tolle Landschaft und gemütliche Ortschaften. Ich schwelgte förmlich in Gedanken was man auf dem einen oder anderen Stück Land anbauen könnte und wie man sich es dort heimlich machen könnte, bis …
Ja bis mich ein entgegenkommender LKW aus dem „Ach hier ist aber auch ganz nett“- Modus gerissen hat. Meine Güte, wenn man Auto fahren lernen möchte, dann sollte man mit einem durch fremde Länder reisen. Kurven ausreizen ist da noch ein Witz. ;)
Nach fünf Stunden Fahrt und einer "Nahrungsmittelauffüllpause" sind wir in einem kleinen Dorf Namens Ossés angekommen. Gegenüber von einer kleinen Kirche eingeparkt und einer kleinen Runde durchs Dorf bei strömendem Regen wurden wir kurze Zeit später von Sylvie in Empfang genommen. Sie ist eine Bekannte von unserem ersten Workaway-Aufenthalt, Anfang 6o und wohnt in einer kleinen Wohnung. Nachdem ich einen guten und sicheren Parkplatz von ihr zugewiesen bekommen hatte, zeigte sie uns etwas aufgeregt ihr kleines Heim.
Zwischendurch fing sie an ihr Bett zusammenzuräumen, fegte eifrig den Boden, dass Pipacs immer wieder mit weggefegt wurde, gab mir nebenbei ein Handtuch und steckte mich erfolgreich unter die Dusche. Ich war zwar gerade einen Tag zuvor unter der Dusche, aber vom Regen so durchtränkt, dass ich einwilligte. Während Sylvie wahrscheinlich weiter "Klar- Schiff" machte, war ich mit meiner Wunde, am Bauchnabel, von den Grasmilben beschäftigt. Mittlerweile lief mir nicht nur, wie zu Beginn, das Wundwasser raus, sondern auch Blut. Da stand ich also und musste kurz etwas innehalten. "Wird schon nicht schlimmer werden!", sagte ich mir und ging duschen. 1o min später wurde ich mit einem selbstgemachten Apfel- rote Beete Saft gestärkt und wir saßen weitere 1o min später in ihrem Auto. Ich lernte eine aufgebrachte, super liebe Frau kennen mit zwei noch aufgeregteren Hunden. Einer der beiden war nicht ganz glücklich, dass mir als Fremde, nach Hund riechende, einfach so Zutritt ins Haus gewährleistet worden war. Ich versicherte ihm eine Kostprobe mit seiner Nase, die allerdings sehr aufdringlich gewesen ist und wurde zeitgleich von den Frauen umgehend aufgefordert mit in die Küche zukommen. Letztlich hatte ich den Hund mit seinem Fang an meinem Ärmel. Nicht zu doll, aber sehr bestimmt. Sein Blick sagte mir, dass es keine gute Idee wäre sich zu bewegen, bevor er nicht ausdrücklich "verschnüffelt" hat, wer da geruchlich an mir fest haftet. Pipacs hatte ich bei Sylvie im Auto gelassen. Es ging gut aus und 3 Stunden später fiel ich mit Suppe alá Sylvie im Bauch und Pipacs im Arm in unserem Heim "Herrn Anders" in den Tiefschlaf.
Am nächsten Tag wurde ich auf einen unglaublichen Wanderweg geschickt. Sylvie hatte zu tun und ich ließ die Seele baumeln und... es kam sogar die Sonne raus. Ich nutzte die Chance und entpackte meine Wunden und war nach wie vor etwas beunruhigt über die Nabel- Situation. Es sah nicht so gut aus. Blut, Eiter und na ja eben offen. Alle gut gemeinten Ratschläge, wie Clay, Öl mit Salz, Alkohol halfen nichts. Ich kramte also zum ersten Mal meinen Verbandskasten raus und desinfizierte die Wunde mit Alkohol machte einen Mikrotropfen Aloe Vera darauf, polsterte das Ganze mit einer Kompresse aus und klebte anschließend ein Pflaster drüber. Muss reichen zum Heilen!
Einen Tag später lernte ich Deutsche kennen. Sie wohnten 4o km weiter auf einem Berg und Sylvie war zu müde, um zu fahren. Also sollte ich hinters Steuer und fuhr uns mit ihrem Wagen. Und ich bin gefahren. Es ging in die Pyrenäen. Berge. Serpentinen. Auf und wieder ab. Runterschalten, kurz abbremsen und wieder beschleunigen. Da "Herr Anders" wenig für das Kurven und schnell fahren gemacht ist, hatte ich die Gelegenheit genutzt.
Oben angekommen, erlebte ich einen Traum von Aussicht und... Menschen. Und... 2o Katzen (zumindest hab ich bei 2o aufgehört zu zählen) und einen Hund. Pomino. Pipacs und ich waren direkt verliebt. So also lernten wir Aida kennen, die vor 14 Jahren mit ihrem Mann, 6 Maultieren, 2 Kutschen und 9 Kindern nach Frankreich kam. Sechs Jahre sind sie auf diese Art gereist. Toll. Und dann war doch noch Rosi, auch aus Deutschland. Sie wohnt 3 km weiter im Tal, was schon in Spanien liegt. Sie mehrere Sprachen sprechen. Spanisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Das war ein wirklich toller Abend. Es sollten noch einige mehr werden...
Auf halber Strecke nach Hause wechselten Sylvie und ich die Plätze und ich fuhr durch die Nacht. Es war eine kurze, aufregende und Vertrauen gebende Zeit. Denn auch Sylvie ließ mich in ihrer Wohnung alleine und ich sollte mich wie zu Hause fühlen. Sie war so herzlich fipsig, dass ich mich nach den Bergen sehnte.
Dieses Wunderwerk von Natur war um uns herum und es reizte mich da einfach irgendwo im Nirgendwo zu stehen, um die ersten und letzten Eindrücke auf unserer Reise zu reflektieren und zu wertschätzen. Ich ließ „Herrn Anders“ ein kleines Abenteuer erleben. Er musste ja schließlich auch mal etwas erfahren. Wir bogen von der Dorfstraße ab und dann ging es hoch. Um nicht zu schreiben, steil Bergauf. Haarnadelkurven, vorbei an Geiern auf weiten Wiesen und Pferden, die mitten auf der Straße gestanden haben. Die (Straßen) allerdings so eng geworden sind, dass ich den Eindruck hatte, sie wären so schmal, wie "Herr Anders" breit. Bei 1o % Steigung und eine 9o°- Kurve weiter stand plötzlich eine Herde Pferde vor uns. Ich musste runter schalten und den frisch beladenen Karren im ersten Gang hochdrücken. Leider auch das eine Pferd. Es rannte und irgendwann ist es einfach den Berg nach oben geklettert. Ich war kurz irritiert, wie kraftvoll die Tiere sind und wusste nicht, dass sie mal eben eine steile Wand "hochklettern" können.
Der Weg endete und wir waren genau da wo wir hingehörten... mittendrin... Ganz oben...alleine...und nicht nur das es mir schon wie ein Paradies vorkam, die Sonne schien, und zwar richtig… Die 32° in meinem Haus auf Rädern hatte ich genutzt und holte alles raus zum Trocknen. Pipacs pennte derweil auf dem Fahrersitz.
Ich hatte Tränen in den Augen, als ich am Abend mit " Frl. Schwarz- Punkt" den Hügel hoch wanderte. Diese Aussicht war unglaublich. Unendliche Weite, keine Menschenseele, Berge, Wälder, frei laufende Pferde, Täler, durch die kleine Bäche plätschern, mein Hund und ich. Phantastisch.
Die nächsten Tage verbrachten wir einfach und unbeschwert. Die Wanderwege wurden unsicher gemacht und die Felsen bekraxelt. Kleine Bäumchen wurden auf Stabilität, durch die Hängematte, getestet. Ich habe mein Essen über dem Feuer gemacht, Yoga und mich absolut ausgeglichen gefühlt, um die letzten Tage und Wochen zu reflektieren.
Pipacs war auf meinem Niveau und ging autonom ihre Wege. Sie rollte in ihrem typischen „Purzelbaum- Manöver“ die Berge hinab, fand Hörner von den Schafen zum verknurpsen und verteidigte „Herrn Anders“ gegen die Pferde. Denn die liebten es, sich das Fell an den Außenspiegeln zu scheuern. Besonders nachts, wenn wir regristriet hatten, dass es die Pferde waren, haben wir es sogar ein bisschen genoßen, uns von ihnen in den Schlaf schaukeln zu lassen.
Es war wie im 5- Sterne Hotel, nur eben in freier Natur. Bis wir morgens um 7 Uhr pünktlich von den Jägern geweckt worden sind. Und das knallte nicht wenig. Es hörte sich an, als ob sie neben uns gestanden haben, aber es war nur der Hall gewesen, der von den Bergen wieder gegeben wurde. Pipacs zitterte am ganzen Laib und fand es auch am Nachmittag nicht wahnsinnig interessant als wir ihnen über den Weg liefen.
Interessant fand ich allerdings, wie die Umgebung auf mich gewirkt hatte. Wir waren zum ersten Mal so richtig in der Wallapampa auf unserer Reise. Völlig alleine. Ich fühlte mich sicher und absolut richtig geparkt mit meinen „Reise- Compangions“. Selbst als die erste Sternenklare Nacht herein brach und der Wald vor uns wie eine dunkle Wand erschien, fühlte ich mich nach wie vor richtig platziert. Auch, wenn mein Kopf mir zuvor sämtliche Horrorfilm- Szenarien und Krimibuch- Inhalte vor die Heckscheibe gesetzt hatte.
Die Sonnenaufgänge ließen mich jeden Morgen ganz ruhig und still im Moment zurück. Es war unglaublich, wie so ein Augenblick einfach den Schalter im Kopf umlegen konnte und die Gedanken- gänge aufhörten. Da ist nur die Umgebung gewesen, die Weite und absolute Ruhe. Genial.
Die Täler mit ihren kleinen Wasserläufen erinnerten mich an Märchen, wie Schneewittchen. Die frei laufenden Pferde trugen ihr übliches dazu bei.
Was mich jedoch immer wieder in Anspannung und Entspannung versetze, waren die Wälder. Jeder, der mich kennt weiß, wie sehr ich Wälder liebe. Diese hier, in den Pyrenäen, können faszinierender nicht sein. So weitläufig und vielfältig und verdammt schön zu dieser Jahreszeit.
Und dann betraten wir ab und zu einen Wald, der uns (ja, auch Pipacs) innehalten ließ. Der uns immer wieder dazu bewegte, useren Blick nicht nur hinter uns zu werfen, sondern überall hin. Weil manchmal einfach absolute Ruhe geherrscht hatte. Wir an zerklüfteten, kleinen Hütten vorbei kamen und dann wieder einfach nichts da gewesen ist.
Es waren oft Momente wie bei Ronja Räubertochter im Wald der Graugnome. Wenn man dann wenig später, wie wir, den spanischen Jägern über den Weg gelaufen ist, dessen Bäuche mit Ledergurten und langen, für mich viel zu großen Patronen darin, bestückt gewesen waren und die ein oder andere tote Taube an kleinen Lederriemchen Daran hingen. Dann hatten wir beide das innere Bedürfnis zu unserer kleinen sicheren Mattisburg „Herrn Anders“ zurück zu kehren.
Wenn der eigene Hund dann immer wieder nicht nur kleine Geweihe, sondern auch noch einzelne Gebeine gefunden hatte und sie vor sich herschleppte, machte das die Geschichte rund, zumindest in meinem Kopf.
Ich bin sprachlos. Beeindruckt. Für den Moment ruhig und ganz still in mir drinnen. Mir war nicht bewusst, was diese Giganten in mir bewirken können.
Wenn ich sie im Frühjahr sehe, möchte ich das Plätschern der Bäche hören, in denen der Schnee schmilzt. Im Sommer, möchte ich wandern und den Duft der Wälder und Wiesen in der Nase haben. Wenn die Zipfelmützen, der großen Riesen weiß sind, wünsche ich mir Skier, ein Snowboard oder einen Schlitten herbei, damit ich in Windeseile auf ihrem Rücken hinuntersausen kann.
Und wenn ich oben angekommen bin, dann bin ich ganz friedlich, ruhig und es scheint mir, als lebe die Welt vor mir. Und meine hält kurz inne. Sie hört auf, sich für einen Augenblick zu drehen. Mein Kopf ist leer. Meine Atmung sanft. Mein Herz ist leicht. Und ich. Bin einfach nur ich. Frei.
Ab und an sind es die Menschen, die mich bewegen weiter zu fahren. Am letzten Tag waren es die Bogenschützen, die uns weiter ziehen ließen. Sie kamen zum üben. Parkten direkt neben unserer kleinen Mattisburg "Herrn Anders" und schossen ihre Pfeile 2o Meter weiter in die aufgestellten Zielscheiben.
25.1o. - 27.1o.2o19