Leckerein und Schockzustand

Le Lesquerdat – Cours- les- Bains

In mir ruft dieser Straßenname mittelalterliche Geschichten hervor. Genauso ist es hier auch. Weite, Kiefernwälder, Strandsandboden (obwohl kein Strand in der Nähe ist) und alle paar 1oo m mal ein Haus.

Mir hat es dort sehr gefallen und Pipacs auch. "Hier" ist ein Grundstück von über 1ha auf dem Hühner, 4 Gänse, eine Katze und ein Hund umherlaufen. Außerdem laufen hier noch Ann- Sophie und Xavier rum und bald auch dessen 7 Monate alter Sohn. Die beiden haben ihre Heimat im Norden aufgegeben und all ihr Hab und Gut in dieses Stückchen Land gesteckt. Sie haben aus einem zerfallenem Haus ein Neues wieder aufgebaut und "Hier" ein, für mich Paradies entstehen lassen.

Wie Nutella, nur abartig genialer.

Ich habe mich mit Pipacs sofort aufgenommen gefühlt, als ob wir beide einfach schon ewig da gewesen sind. 12 Tage waren wir bei dieser wunderbaren, kleinen Familie und haben sie im Alltag unterstützen dürfen. Wir hatten eine wahnsinnig schöne Zeit mit interessanten Gesprächen, einigen Lachern und sogar einer Schocksituation. Ich habe Xavier beim selbst angebauten Garten geholfen. Wir ernteten die letzten Tomaten, pürierten diese und haben sie in Gläsern eingeweckt. Wow, ist absolut empfehlenswert für Pizza oder Pastagerichte. Außerdem zeigte er mir wie man den Boden präpariert für die neue Saat. Da die Erde hier nicht gut für einen Anbau von Gemüse ist, musste der erstmal hergerichtet werden. Also schleppten wir Pferdepoo an und Stroh, zerhäckselten stundenlang bestimmte Baumarten und legten diese Mixtur Schichtweise auf den Boden. Ich tanzte natürlich wieder vorbildlich aus der Reihe und legte den Pferdemist im wahrsten Sinne des Wortes wirklich Schichtweise auf den Boden, wie bei einer Lasagne… Dabei sollte es nur ein bisschen hier und da verteilt werden. Nun gut, am Ende habe ich dann auch hier und da ein bisschen ausgeteilt und es reichte zum Glück für alle Beete. Puh. Wir haben 2 Tage unter dem Auto gelegen, um die Hydraulikfederung zu wechseln. Nicht durchgehend. Aber so ein Citroen braucht eben seine Aufmerksamkeit. Oder auch, wie in diesem Fall, unsere. Ich kümmerte mich zwischendurch immer mal wieder um den kleinen Sohn und die beiden Hunde. Wir gingen durch den Wald und suchten Pilze und sammelten massenhaft Maronen. Aus denen haben wir Maronencréme gemacht. Wie Nutella, nur abartig genialer. Wow, das ist so eine Leckerei mit der man mich auf jeden Fall bekommt, wenn man das mit Joghurt kombiniert. Allerdings auch sehr zeitaufwendig. Ich bin jetzt verdammt gut im Maronen schälen und...!... natürlich auch im Bohnen (sämtlicher Sorten) ernten und sortieren.

Die Kettensäge wurde angeschmissen, um Holz zurecht zu sägen, damit im Winter das Wasser warm ist und die Hunde spielten ununterbrochen mit Stöckern, Bällen und meinen Socken. Pipacs war begeistert von dem Federvieh. Ich musste sie wörtlich immer wieder daraufhin weisen, dass Hühner weder gejagt werden, noch das Gänse auf dem Boden gedrückt werden. "Tabu. Feierabend. Aber sowas von!" Ann-Sophie lehrte mich wie man Wände (im Haus) aus Sand anfertigt und wie man Farbe aus natürlichen Materialien herstellt. Außerdem zeigte sie mir auch wie sie Seife selbst produziert. Das Schönste war wohl, dass ich den kleinen Sohn physiotherapeutisch behandeln durfte. Der kleine hatte sich eine ordentliche Erkältung (Bronchitis) eingefangen. So lange ist es her gewesen, dass ich so kleine Patienten behandeln durfte und es hat so gut getan! Uns allen, denn in wenigen Tagen ging es ihm schon wieder besser.

Tage später fing sich Pipacs Grasmilben ein. Die mich in absolute Quallen versetzt hatten und noch eine lange Erinnerung bleiben sollten. Lebt man gemeinsam mit einem Hund in einem kleinen Haus auf Rädern, kann da so ein Krabbeldingens schon mal "Guten Tag" sagen kommen. Ich reagierte allergisch oder zumindest reagierte ich. Meine Haut juckte und ich hatte überall kleine Quaddeln. Natürlich auch da, wo es besonders besch** heilt. Im Bauchnabel. Nun gut.

im Dunkeln zurück

Die eigentliche Schocksituation sollte aber erst noch kommen. Am letzten Tag ging ich mit meinem Kaffee vor die Tür und vernahm ein komisches Geräusch. Ich ahnte etwas, stellte den Becher ab und rannte los. Manix und Pipacs waren in einem kleinen Graben und attackierten einen Hahn. Wobei Manix nicht das Problem gewesen war, sondern Pipacs. Sie hat dem Hahn den Hintern blank gezupft und nicht nur das. Als ich angekommen bin sah ich das Unglück. Sie hat ihm einen Riß von mindestens 10 cm in den Stütz gezogen. Immer, wenn er sich bewegte, kam ein Schwall Blut herausgelaufen. Ich brachte diesen kleinen schwarzen Teufel zum Haus und sah wie Manix ein weiteres Huhn jagte aber nicht anfiel. Ann- Sophie kam mir, mit dem Lütten auf dem Rücken, entgegen und dann funktionierten wir einfach. Der Hahn wollte sich im Farn verkriechen, Ann- Sophie ging vorsichtig hinterher und ich rannte wieder zum Haus und suchte nach einem Karton. Behutsam setzten wir ihn in die Kiste und versorgten seinen Allerwertesten mit Clay. Danach ließen wir ihn erstmal in Ruhe im Dunkeln zurück und holten das andere Huhn aus einem Loch, in das es hinein gefallen gewesen ist. Ich war komplett im Eimer. Mein Gesicht hatte keine Farbe mehr und ich fühlte mich einfach schlecht. Auch, weil Pipacs mein Vertrauen gebrochen hatte. Sie war immer wieder an der Schleppleine und nutzte wirklich ernsthaft den Abreisetag um einem Hahn fast das Leben zu nehmen?! Ann-Sophie meinte, ich sollte mir keine Sorgen machen. Es wäre nicht das erste Huhn was sie verlieren. Und zu guter Letzt bedankte sie sich auch bei mir, dass ich ihr geholfen habe, es zu verarzten. Da war es um mich geschehen. Ich war baff. Da saß ich nun und konnte es einfach nicht glauben. Mein Hund hatte fast einen Hahn getötet und sie sagt Danke?! So etwas habe ich noch nicht erlebt.

Ich verarbeitete das alles ersteinmal mit einem ordentlichen Waldspaziergang, den beiden Hunden und dem kleinen Sohnemann. Wir blieben einen Tag länger und sind mit Tränen in den Augen am nächsten Morgen abgefahren. Pipacs, sicher, weil sie die Hühner vermissen wird und ich, weil ich einfach eine wundervolle, menschliche, vertraute, herzliche Familie verabschiedete …

Wie schön dieses Gefühl ist, anerkannt und akzeptiert zu werden. Menschen zu begegnen, die einem zeigen, wer man eigentlich ist. Ohne, dass man sich vorher über den Weg gelaufen ist. Normalerweise ist es naiv, wenn man Menschen sofort vertraut. Sehr ungewöhnlich, wenn man fremde Menschen in seine Privatsphäre miteinbezieht als seien sie ein Teil davon. Und außergewöhnlich seltsam, wenn man Dank erntet, wenn der eigene Hund einem Hahn den Hintern versohlt. Und genau bei diesen Menschen fühle ich mich, wie ich bin. Als ein Teil von ihnen.

Ich bin unendlich überwältigt und fühle, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, die Reise hier an diesem Ort und bei diesen tollen Menschen, einmal angehalten zu haben.

o9.1o.- 21.1o.2o19

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