Vom Flow gebissen

Gänsehaut, mein Gesicht ist kalt, vor allem meine Nasenspitze. Die Nächte sind frostig. Ich murmel mich tiefer in den Schlafsack. Auch Pipacs hat sich an meine Beine gekringelt. Seit wir bei Jaqui sind, hat sich Meister Regen verzogen und die Nacht gegen Väterchen Frost und den Tag gegen Klärchen eingetauscht. Mega Deal, wie ich finde.

Wir krempeln uns, wie jeden Morgen, aus Herrn Anders und genießen diesen stillen Moment, wenn die Sonne die Landschaft in ein warmes Gold taucht. An den Stress der letzten Tage kann ich mich nicht mehr erinnern, es scheint als sei es weggebeamt worden, wie bei MIB. Ich bin wieder angekommen, fühle den Moment, bin glücklich, geerdet. Mit der Sonne im Gesicht und geblendet von der traumhaft schönen Natur gucke ich meine kleine Fräulein Schwarz Punkt an und springe mit ihr, wie ein stolzes Rehkitz über Stock und Stein.

Als wir zurückkommen, von unserem morgendlichen Sparziergang zieht mich der Duft von frisch gebackenem Brot ins Haus. Wow… Jaqui hat ein Händchen für die Küche. Immer wieder hat sie Einfälle etwas zu zaubern. Und es schmeckt einfach immer unfassbar gut. Selbst mein Lieblingsessen gab es schon… Arme Ritter.

Wir haben alle Sachen gepackt. Selbstgemachte Sandwiches, Wasser, Gemüsechips und ein Bierchen für jeden. Die Hunde springen voller Vorfreude ins Auto, als ob sie wüssten, wo es hingeht und Jaqui fährt mich bei schönstem Sonnenschein Wetter durch die Berge zu einem riesigen See.

Ich bin sprachlos. Wir setzen uns auf eine Decke, mampfen unsere Sandwiches und runden das ganze mit viel lachen ab. Die Sonne steht im Zenit und der See glitzert, als ob jemand mit einem Hubschrauber darüber geflogen ist und Feenstaub verloren hat. Im Hintergrund ragen die urigen Berge auf. Mal in Form eines Dinosauriers und mal wie die bewachsene Königshalle eines Trolls auf Urlaubsreise.

Es ist schön, wenn man jemanden neben sich sitzen hat, der diese Fantasie teilen kann. Gegenüber von Jaquis Haus sieht man einen Hügel, der den Eindruck erweckt, dass es ein auf dem Rücken liegender Buddha ist, erzählte sie mir. Ist so … ;)

Uns zog es zum Auto zurück und wir verstauten die Tasche im Wagen, um danach nochmal eine Runde um den See zu gehen. Wahnsinn, streckenweise war es wie im Urwald. Tropische Temperaturen und dann wieder wie in der Wüste, staubtrocken. Den Abend ließen wir entspannt ausklingen. Die Kartoffeln in Alufolie garen im Lagerfeuer auf der Terrasse und sehen aus wie kleine mini Satelliten unter dem Sternenhimmel. Wir spielen Gitarre, singen in die Nacht herein und die Hunde grunzten unter ihrer Decke.

Das war ein Tag von insgesamt fünf, die wir bei Jaqui erleben durften.

Auch hat Herr Anders dann endlich seine Lampen ausgeknipst, die noch immer, vom 4. Advent im Cockpit geleuchtet haben. „Bom Dia“, sagte ich zum Mechaniker und bat ihn, meinem guten und treuem Gefährt den ABS-Ring zu tauschen. Zwei Stunden später war das für schlappe 34 Euro abgehakt. Kaum zu glauben, dass es in Deutschland mindestens das dreifache gekostet hätte. Obrigado …

Mit meinem kleinen C- 3PO (ja, der Droide aus Star Wars), also einem kleinen Fehlerlesegerät habe ich dann noch die Lampen ausgehen lassen und Herr Anders brummte zufrieden auf.

Alice im Wunderland…

Uns zog es weiter über Portalegre nach Amieira, wo wir auf einem Hügel das neue Jahr willkommen hießen. Wir waren frei, voll getankt mit guter Energie und liefen wie kleine Kinder über die Hügel bis …

Wir blieben abrupt stehen. Durch den Stausee war es enorm nebelig morgens. Wie in einer Waschküche. Pipacs war nur knappe zehn Meter zu sehen, wenn sie vorauslief. Eine Mischung aus Neugier und „scheiße, was wenn ich mich verlaufe“ – Gefühl stieg in mir auf. Immer wieder ließ es mich anhalten und staunen, wie krass dieses Gefühl gewesen ist. Ich war so fasziniert von den Spinnweben und dieser Nebelglocke, dass ich einfach wie Alice im Wunderland weiter gelaufen bin und mit Pipacs plötzlich im Wasser gestanden habe.

Stille. Vor uns lag der riesige Stausee und es wirkte, als ob man über ihn rüber Laufen könnte. Ich war völlig raus. Raus aus der Realität. Es war wirklich wie in einem Film. Mystisch, unheimlich, Geräuschpegel gleich null. Da war nichts. Ich wusste nicht, ob mir diese Art gefiel. Diese Mischung aus Adrenalin und paralysiert sein war faszinierend und ennuyant zugleich. Ehrfürchtig schlichen wir den Weg entlang, immer fokussiert, dass Lord Voldemort gleich aus dem Wasser empor steigt. Oder Loch Ness. Oder einfach jemand, der urplötzlich da ist. Dieses Gefühl löste sich zum Glück mit den ersten Sonnenstrahlen wieder auf und wir trudelten am zweiten Tag des neuen Jahres in

Minas de Sao Domingos ein.

Ursprünglich wollte ich hier her, da ich gelesen hatte, dass es hier öffentliche Duschen gab. Nun ja, es waren alle kaputt. Richtig einladend war das Dorf für mich nicht, aber weiter fahren wollte ich auch nicht. Es waren so viele Wohnmobile hier, deswegen stellte ich meinen kleinen Packesel auf einen Hügel gegenüber ab und erkundete erstmal die Gegend.

Wir sind aufgefallen. Klar, wenn man mit einem Skateboard zum Wasser holen oder zum Einkaufen fährt. Der Hund immer unangeleint mit dabei. Wir inmitten einer Schrebergarten-anlage geparkt hatten, die mehr denn je nach einem Abstellplatz für verrostete Kunst ausgesehen hatte, dann wird man angeguckt. Aber hier in Portugal geschieht dies, immer mit einem lächeln.

Hier lebte die Menschlichkeit vom allerfeinsten. Die Einheimischen Portugiesen sind unfassbar herzlich und einladend und vor allem gebend. Aber genauso auch zurückhaltend und fast ein bisschen scheu. Respektvoll. Sie wahren ihre Individualdistanz quasi. Genau das war ein jemand aus MV eigentlich auch macht, nur eben mit ein bisschen mehr Wärme und Gefühl. Exakt, ich bin total richtig hier.

Rückblick

Nach einem ausgiebigen Sparziergang durch die Wildnis und ein Bad im See knurrte mein Magen. Ich packe meinen kleinen Feuerteufel und bestücke ihn mit ein paar kleinen Hölzern und entfache ihn zum Leben. Während ich da so vor mich hin köchel, sehe ich wie hinter "Herrn Anders" ein roter Pickup einparkt. Erst dachte ich, dass Bella mit ihrem Vampir Freund aufsteigt und mich besucht, aber nach glitzernder Haut in der Sonne und Gebimmel in der Luft war mir nicht. Dementsprechend erleichtert bin ich gewesen, dass ein freundlich lächelnder und braun gebrannter älterer Herr um die Ecke blinzelte. Er fragt mich, ob ich etwas koche. Sim … Etwas mulmig war mir, bei dem Gedanken, dass ich hier in der Gartenanlage koche, trotz Halteverbot. Dieses Schild ist mir kurz zuvor aufgefallen, versteckt in den Bäumen. Verdammt… Morgen muss ich umparken und woanders Reifen, Pfote und Fuß fassen. Plötzlich kam er wieder um die Ecke und ich dachte schon, jetzt gibt es Ärger, aber nein. Er stellt mir mehrere Beutel voll mit Obst und Gemüse vor mein Auto. Ich bin sprachlos.Ich bin steinreich …!

Das sind bestimmt drei Kilo Zitronen, 5 kg Mandarinen, Kartoffeln, ein Blumenkohl und ein Weißkohl und dann noch ein Strauß Koriander. Ich wurde einfach so reich beschenkt und bin der glücklichste Mensch der Welt. Mir werden die Augen richtig nass…

Es war beschlossen. Wir bleiben noch ein paar Tage. Hier gibt es Strom, einen kleinen Konsum und ein Paradies an Natur zum Wandern. Gute Straßen zum boarden, meinen super netten Portugiesen, der Gärtner, der mich von Herzen mit Gemüse versorgt (er kam jeden Tag vorbei und erkundigte sich, ob ich noch ausreichend Vorräte in der Kammer hatte). Einen See zum Baden. Steffi und Karsten aus Dresden, die mich aus lauter Neugier eines Tages kennenlernen wollten. Tom, ein waschechter Ire und seine Frau Gill, aus England mit ihren beiden Hunden.

Wie jeden Morgen treffe ich Tom zur Hunderunde und Gill macht uns nachmittags genüsslichen Kaffee … An diesem Tag laufe ich den beiden im zickzack und meinem Skateboard unterm Arm den Berg hinauf entgegen. Ich wurde von Steffi und Karsten zum Essen eingeladen. Herrje was für ein Schmaus. Aber auch was für ein Trunk. Ich war recht lustig benebelt. .Um nicht zu schreiben, ich war hinüber.

Lange Rede, kurze Haare. Ich musste mich setzen, ich hatte kurz zuvor noch ein Telefonat, welches mir zusätzlich noch etwas an mir zerrte. Tom steht vor mir und reicht mir seine Hand und ich schaue völlig perplex zu ihm hoch und strecke ihm meine entgegen und stehe wieder mit meinen Füßen auf dem Boden der betrunkenen Tatsachen. Er nimmt mir mein Board ab und Gill übernimmt die Hunde. Er ließ meine Hand bis zu Herrn Anders nicht los und mich erinnerte es an meine Arbeit, dass auch ich meinen Patienten immer die Hand gereicht hatte. Gill geht weiter zum Wohnmobil und macht Suppe und Brot fertig und kocht Kaffee, während wir mein Board im Auto verstauten. Ich bin ganz still. Andauernd kullern mir die Tränen über die Wangen. Soviel Menschlichkeit auf einmal kann wunderbar sein. Ich bin so dankbar, dass ich leise und unter Tränen meine Suppe löffle.

Am Abreisetag lagen wir uns in den Armen. Jeder von uns hatte Tränen in den Augen. Gill und Tom sind wieder in Richtung Norden unterwegs um zu ihrem zukünftigen Domizil zu fahren. Hier möchten sie gern ihr Rentendasein in vollen Zügen genießen und wir hoffen, dass wir sie dort auch mal besuchen kommen.

Obrigado.